Guten Morgen zusammen,
sehr spannend, was hier so im Forum diskutiert wird..
Vorweg: ist alles nur meine persönliche (rechtliche) Meinung. Allerdings gibt es den Witz: "zwei Juristen, drei Meinungen" nicht von ungefähr.
Schauen wir uns doch den Wortlaut von § 23 EStG mal an:
§ 23 Private Veräußerungsgeschäfte (§ 22 Nummer 2) sind
1. (...)
2.
Veräußerungsgeschäfte bei anderen Wirtschaftsgütern, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als ein Jahr beträgt. 2Ausgenommen sind Veräußerungen von Gegenständen des täglichen Gebrauchs. 3Bei Anschaffung und Veräußerung mehrerer gleichartiger Fremdwährungsbeträge ist zu unterstellen, dass die zuerst angeschafften Beträge zuerst veräußert wurden. 4Bei Wirtschaftsgütern im Sinne von Satz 1, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden, erhöht sich der Zeitraum auf zehn Jahre;
Das Gesetz spricht davon, dass ein Wirtschaftsgut (nach Auffassung der Finanzverwaltung jeder Coin etc.) zumindest in einem Jahr als Einkunftsquelle genutzt wird. Ich kann da keine Einschränkung entnehmen, dass die Nutzung als Einkunftsquelle im zweiten Jahr unschädlich sein soll. Warum schreibt der Gesetzgeber "zumindest", wenn dann doch nur das "erste" Jahr gemeint sein soll. Macht für mich nicht so richtig Sinn.
Wenn die Coins weg sind, dann sind sie natürlich weg. Wenn man nach Ablauf der Spekulationsfrist aber mit Lending oder Staking beginnt, kann ich dem Wortlaut nicht entnehmen, dass das keine Nutzung als Einkunftsquelle sein soll. Vielmehr dürfte nach dem Wortlaut die Verlängerung der Spekulationsfrist nahe liegen.
Das Problem ist wie folgt: der Gesetzgeber hatte was anderes gewollt (Verhinderung von Steuersparmodellen mit Container). So steht es in dem Gesetzentwurf zur Verlängerung der Frist auf 10 Jahre (Seite 58 rechte Spalte unten). Raus gekommen ist jedoch ein Wortlaut, der diese Beschränkung nicht in sich trägt.
Der Rest ist nun eine Auslegungssache. Was passiert ist, dass vielleicht dieses Jahr das BMF ein Schreiben rausbringt und diesen Punkt dann klärt. Alternativ muss man warten bis der Bundesfinanzhof die Frage entscheidet (das kann allerdings dauern).
Bis dahin sollte sich jeder gut überlegen, ob er entsprechende Gewinne gegenüber dem Finanzamt nicht erklärt, da er eine bestimmte Rechtsansicht "sympathischer" findet. Sicherer scheint mir, den Sachverhalt beim Finanzamt zu melden und ihn mit guten Gründen zu widerlegen (da hat der Kollegen von Winheller schon etwas zu gesagt). Ich würde den Sachverhalt (d.h. einen Veräußerungsgewinn bei einer ggf. verlängerten Spekulationsfrist gegenüber dem Finanzamt jedoch nicht verschweigen). Aber das muss natürlich jeder für sich selbst verantworten.
Für die Tax Tools auf meiner Seite habe ich daher den sicherer Weg unterstellt, der (leider) zu einer Verlängerung der Spekulationsfrist führt.
Ich hoffe, dass das vielleicht ein wenig Klarheit gebracht hat.